4/8 Vernetzung und Veränderung von Lernräumen

Schülerinnen und Schüler auf dem Schulweg in Thun, ca. 1913 (Burgerbibliohtek Bern; Historische Sammlung Schenk 174/9)

Wie sieht die Schule der Zukunft aus?

Gibt es in den künftigen Schulhäusern noch Klassenzimmer oder verlagert sich der Unterricht an den Bildschirm am Küchentisch? Werden Kinder und Jugendliche den Unterricht noch in dem einen Schulhaus besuchen oder findet Schule an verschiedenen Orten statt?

Schule ist traditionell eine eher geschlossene Institution und pflegt eine gewisse Distanz zur Aussenwelt. Unterricht findet in der Regel am gleichen Ort, im gleichen Personenkreis und für alle zur gleichen Zeit statt. In Zukunft wäre es vorstellbar, dass sich neben Lehrkräften auch externe Personen oder Institutionen an Bildungsprozessen beteiligen. Auch räumlich und zeitlich könnte Schule ganz anders gestaltet sein. Diverse Ideen stehen im Raum – vom hybriden Unterricht über offene Lernräume bis hin zu Lernpassagen an anderen Schulen, in einem Unternehmen oder im Ausland. Vielleicht erweist sich am Ende aber auch die kleinräumige Dorfschule, wie sie vor 150 Jahren typisch war, als Idealform.


WAS DIE SCHULE BEWEGT  

SCHULREFORMEN DER VERGANGENHEIT UND der ZUKUNFT


1850-1900 Dorfschulen und städtische Kasernenschulen

Jedem Dorf sein eigenes Schulhaus

Der Schulhausbau wurde in vielen Kantonen durch die in den 1830er-Jahren erlassenen Schulgesetze zu einer zentralen Bauaufgabe. Auch kleine Landgemeinden wurden zum Bau von Schulhäusern verpflichtet. Zuvor war unter kirchlicher und privater Aufsicht in viel zu dunkeln und engen Räumen oder in der Privatstube des «Schulmeisters» unterrichtet worden. Vor allem für kleinere Gemeinden war der Schuhausbau trotz Staatsbeiträgen eine grosse finanzielle Belastung. Einige Kantone gaben Musterbaupläne aus, andernorts wurden die Baurisse kopiert und unter den Schulgemeinden ausgetauscht.

Normalien für Schulgebäude im Kanton Bern: Schulhaus mit drei Schulzimmern, Arbeitszimmer und drei Lehrerwohnungen (Staatsarchiv Bern; AA III 739).

Urbane Schulpaläste

Das Schulhaus entwickelte sich nach der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Repräsentationsbau, den man im Ortsbild entsprechend prominent platzierte. In den grösseren Ortschaften wuchsen die Schulhäuser zu stattlichen Gebäuden in die Höhe, mit aufwändig gestalteten Fassaden im Stil des Klassizismus oder der Neurenaissance. Mit dem Bau betraut wurden nicht selten Architekten mit Rang und Namen aus der Region.

Primar- und Oberstufenschulhaus Hirschengraben in Zürich, 1895 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich).

Schulbank

In die ungefähr 100 Quadratmeter grossen Schulzimmer drängten sich im 19. Jahrhundert bis zu 100 Schülerinnen und Schüler. Die riesengrossen Schulklassen zwangen zu äusserster Disziplin. Durch Frontalunterricht vom erhöhten Pult aus, behielt der Lehrer die Übersicht. Die strenge Sitzanordnung mit fest verschraubten Sitzbänken trug das Ihre dazu bei.

Rüschegg, 1942 (Burgerbibliothek Bern; N_Eugen_Thierstein_343_8).


1900-1950 Licht, Luft und Raum

Schulhausreform

Die sozialen Reformen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führten auch im Unterrichtswesen zu grossen Umwälzungen. Als Reaktion auf die Industrialisierung wurden Hygiene und Volksgesundheit zu allgegenwärtigen Themen. Ärzte formulierten Normen, die den notwendigen «Luftraum» pro Kind definierten, genügend Licht und eine gerade Haltung in der Sitzbank anstrebten. Neben dem traditionellen Schulhof stand nun immer öfter eine «Spielwiese» für Sport und freie Bewegung zur Verfügung. Als eine bauliche Modellösung für Schulhausbauten wurde schon 1904 beim Ersten Internationalen Kongress für Schulhygiene in Nürnberg die Pavillonschule vorgestellt.

Eine der ersten Pavillonschulen der Schweiz: Klassenzimmer im 1937-1939 erbauten Schulhaus Bruderholz in Basel.

Nach 1900 wurden in den Schulen vermehrt Brausebäder (Schulduschen) eingebaut, um die Kinder an regelmässiges Baden zu gewöhnen. Brausebad im Untergeschoss der Schulanlage Riedtli in Zürich um 1908 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich).

Heimatstil statt Kasernenbau

Prägender als die Pavillonschule wurde für die Schulhausbauten des frühen 20. Jahrhunderts der sogenannte Heimatstil. Die 1905 gegründete Heimatschutzbewegung kritisierte die Schulgebäude des 19. Jahrhunderts als «kasernenhafte Steinkästen» und setzte sich stattdessen für eine neue, sachliche Baukultur ein. Das Heimatstil-Schulhaus sollte identitätsstiftend sein und mit einer harmonischen Gestaltung dem Kind das Gefühl von Heimat und Geborgenheit vermitteln. Beim Innenausbau achtete man auf eine helle und geräumige Gestaltung, die den Kindern Raum für Bewegung bot.

1907 im Heimatstil erbautes Schulhaus Hämisgarten in Bottmingen, Baselland.

Freiluftschulen

Die Gründung von Freiluft- oder auch Waldschulen geht auf den Berliner Kinderarzt Adolf Baginsky zurück. Bereits 1881 hatte er zur Gesundheitsförderung eine Waldschule gefordert. Nicht wenige Freiluftschulen gingen aus Einrichtungen für sozial gefährdete Kinder und Jugendliche hervor, andere waren kommunale oder private Gründungen. Ziel war es, die Kinder und Jugendlichen körperlich und gesundheitlich zu stärken.

Walschule in der Stadt Zürich, 1914/1915 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich).


1950-1980 Das neue Schulhaus

Durchbruch der Moderne

Die Reformdebatte aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entfaltete ihre volle Wirkung im Schulhausbau der Nachkriegszeit. Mehrere, pavillonartige Gebäudekuben formten die typische Schulanlage der Nachkriegszeit. Radikale Entwürfe setzten auf Backstein und rohen Beton als Ausdrucksmittel. Da viele Schulbauten über Architektur-Wettbewerbe vergeben wurden, finden sich selbst in ländlichen Gemeinden ab etwa 1955 Schulanlagen von zuweilen kompromissloser Modernität.

Im Pavillonsystem erbautes Schulhaus Marzilimoos in der Stadt Bern, Aufnahme von 1952 (Stadtarchiv Bern; SAB_1038_16_6_376).

Schulanlage Letzi in Zürich, Baujahr 1956 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich).

Schulzentren

In den 1960er-Jahren kurbelten wachsende Schülerzahlen den Schulhausbau kräftig an. Die Ausgestaltung der Neubauten wurde dabei auch durch gesellschaftliche Fragestellungen und die Forderung nach mehr Chancengleichheit beeinflusst. Mit der Gesamtschule war ein Begriff gefunden worden, der die unterschiedlichsten Reformwünsche auf einen Schlag zu erfüllen versprach. Grössere und zentralisierte Schulanlagen wurden zum Gebot der Stunde und neue Primar- und Oberstufenzentren samt Mehrzweckhallen entstanden in grosser Zahl und rascher Folge.

Oberstufenschulhaus Ennetgraben in Affoltern am Albis, erbaut 1969-1970 (Quelle: Werk, Band 59, Heft 2, 1972).

Mobiliar

Neue pädagogische Ansätze spiegelten sich auch in der Möblierung der Klassenzimmer. Die Stadt Zürich hatte bereits in den 1930er-Jahren mit der Anschaffung beweglicher Möbel begonnen, in ländlichen Gegenden blieben die alten schraubstockartigen Schulbänke vielerorts jedoch bis in die 1960er-Jahre in Gebrauch.

Klassenzimmer in der Stadt Zürich, 1950 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich).


1980-2010 Ausserschulische Lernorte und Lernateliers

Neue Raumbedürfnisse

Die Anforderungen an Schulhausbauten hatten sich Ende des 20. Jahrhunderts weiter gewandelt. Zusätzliche Räume für den Gruppenunterricht und klassenübergreifende Projekte, für Hort und Mittagstisch, musikalische Erziehung und die Schulleitung, aber auch kleinere Klassen und neue Unterrichtsformen verstärkten den Raumbedarf. An die Stelle der traditionellen Klassenzimmer traten zunehmend veränderbare Lernlandschaften mit geschlossenen und offenen, flexibel bespielbaren Räumen für Gruppenunterricht oder Lernateliers.

Lernatelier im Sekundarschulhaus Sandgruben in Basel.

Ausserschulische Lernorte

Eine wachsende Bedeutung erhielten seit den 1990er-Jahren Lernräume ausserhalb der eigentlichen Schulanlagen. Pädagogische Angebote wurden von vielen bildungsnahen Institutionen  ausgebaut. Die zuvor noch eher konventionelle museale Schau des Technoramas in Winterthur beispielsweise wurde ab 1990 zu einem bei Schulklassen beliebten Experimentierfeld für unterschiedlichste naturwissenschaftliche Phänomene umgebaut.

Jugendlabor im Swiss Science Center Technorama in Winterthur.


2010 – Zukunft Der Pressespiegel: Hybride Lernlandschaften?

Virtuelle Schule

Im Schuljahr 2019/20 besuchten in den USA rund 300’000 Lernende rein virtuelle Schulen, – das entspricht ca. 0,5 Prozent aller schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen. Die Gründe für die Wahl sogenannter Virtual Schools sind vielfältig: Während manche Kinder und Jugendliche Mobbing- und Diskriminierungserfahrungen aus dem Weg gehen wollen, arbeiten andere lieber in ihrem eigenen Tempo. Andernorts wird mit hybriden Modellen experimentiert, also einer Mischung aus digitalem und analogem Unterricht, der zumindest teilweise auch von zuhause aus stattfinden kann.

The Wall Street Journal, 29. August 2022

Screenshot Webseite der zu Pearson gehörenden Connections Academy, einem der grössten Anbieter für virtuelle Bildung in den USA.

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5/8 Möglichkeiten der Partizipation und Beteiligung