3/8 Integration neuer Bildungsinhalte

Neue Handelsschule Bern, 1943 (Burgerbibliothek Bern, N Eugen Thierstein 321/121).

Welche Skills sind morgen gefragt?

Was Kinder in der Schule lernen, unterliegt einem ständigen Wandel. In den letzten 150 Jahren wurden neue Fächer eingeführt wie die Realien, der Sportunterricht und moderne Fremdsprachen. Nun wird im Zeitalter des digitalen Wandels wieder intensiv darüber diskutiert, was Schule an Kenntnissen und Fertigkeiten vermitteln soll.

Wissen ist heute innerhalb von Sekunden mit dem Smartphone auffindbar. Sollen Lernende daher nicht stattdessen in der Schule Kompetenzen erwerben, die mit dem Smartphone nicht zu erlangen sind? Zum Beispiel Selbstreguliertes Lernen, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit und Kreativität. Die Digitalisierung stellt grundsätzlich in Frage, welche Fertigkeiten Lehrpersonen noch vermitteln müssen. Ist der mühsame Erwerb von Fremdsprachkenntnissen weiterhin angebracht, wenn leistungsfähige Übersetzungsprogramme zur Verfügung stehen? Welche bisher selbstverständlichen schulischen Grundfertigkeiten sind also noch allgemein erforderlich und wie soll der Stundenplan der Zukunft aussehen?


Was die Schule bewegt

Schulreformen der Vergangenheit und der Zukunft


1850-1870
Lesen, Schreiben, Singen, Muttersprache und Rechnen

Bildungskanon

Über weite Strecken des 19. Jahrhunderts stand die Einübung der traditionellen Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen im Schulunterricht noch klar im Vordergrund. Viel Gewicht kam zudem der religiösen Unterweisung zu und – dies mag aus heutiger Sicht überraschen – dem Singen.

Fächerverteilung für eine ungeteilte Schule gemäss dem Lehrplan des Kantons Bern von 1848. Für die älteren Schulkinder war eine Kürzung des Sprach- und Schreibunterrichts um drei Stunden vorgesehen, die für den Realienunterricht aufzuwenden waren.


1870-1950 Die Stundentafel wächst

Körperliche Erziehung

1874 wurde das obligatorische Knabenschulturnen in der ganzen Schweiz eingeführt. Das Turnen sollte die Buben in schulpflichtigem Alter auf den Militärdienst vorbereiten. Die Mädchen werden den Buben in Bezug auf den Turnunterricht erst 1972 schweizweit gleichgestellt – nahezu 100 Jahre später.

Turnstunde in einem Basler Gymnasium, 1897 (Schweizerisches Nationalmuseum) .

Haus- und Handarbeit

Der bereits in den 1870-Jahren in  den obligatorischen Schulunterricht integrierte Handarbeits- und Hauswirtschaftsunterricht für Mädchen sollte diese als Hausfrauen qualifizieren. Anfangs des 20. Jahrhunderts etablierte sich der Handarbeitsunterricht für Knaben. Ihm kam die Aufgabe zu, die Buben auf die industrielle Arbeit vorzubereiten.

Handarbeitskurs an der Schule in Murten, ca. 1940 (Bibliothèque cantonale et universitaire de Fribourg, Fonds Hans Wildanger, HAWI 00085).

Der Aufstieg der Naturwissenschaften

Die wachsende Bedeutung der Naturwissenschaften zeigte sich im Aufstieg des Realienunterrichts Ende des 19. Jahrhunderts. Neben Natur- und Erdkunde etablierten sich zunehmend auch der Chemie- und der Physikunterricht.

Physiksaal im Institut Concordia in Zürich, 1914 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich).

Verkehrserziehung

Trotz zunehmender Gefahren durch den Autoverkehr wurde in den Schulen kein Fach «Verkehrsunterricht» geschaffen. Polizeikräfte bearbeiten seither das Thema Verkehrserziehung an den Schulen.

Verkehrserziehung in der Schule durch die Polizei in der Stadt Bern, 1935 (Staatsarchiv Bern; FN Jost N 2305).


1950-1960
Bildungsexpansion im Kalten Krieg



Sputnik-Schock

Nach dem «Sputnik-Schock» – die Reaktionen auf den Start des ersten künstlichen Erdsatelliten Sputnik 1 am 4. Oktober 1957 durch die Sowjetunion – erreichte der Kalte Krieg auch die Bildungspolitik. Aus Sorge um den technischen und wissenschaftlichen Nachwuchs wurden in den folgenden Jahren die naturwissenschaftlichen Fächer und die Mathematik ausgebaut.

Georg Picht rief 1964 in Deutschland die «Bildungskatastrophe» aus.

Gesundheitserziehung

Die Kariesprophylaxe wurde in den 1950er-Jahren in den meisten Kantonen obligatorisch. Wöchentliches oder gar tägliches Zähneputzen gehörte für Schulkinder fortan zum Schulalltag.

Der Schulzahnarzt an der Arbeit in Estavayer, 1953.


1960-1980
Fächerübergreifende Themen

Neue Lehrpläne

Die Lehrplanrevisionen der 1970er und 1980er-Jahre orientierten sich insbesondere in der Deutschschweiz stark an der amerikanischen Diskussion. Richtungsweisend war die Curriculum-Theorie, die zwischen Sach-, Selbst- und Sozialkompetenz unterscheidet. Die neuen Lehrpläne wurden mit fächerübergreifenden Leitideen und fächerspezifischen Richt- und Grobzielen versehen. Zu einem solchen fächerübergreifenden Thema wurde die Medienkunde in der Volksschule.

«Unterrichtstechnologie und Medienpädagogik», Sondernummer der Schweizerischen Lehrerzeitung, 1973.

Sexualerziehung

Der schulische Aufklärungsunterricht wurde in den Biologiestunden der oberen Volksschulklassen integriert. Das schulische Engagement in dieser Sache war immer stark umstritten.

Aufklärungsunterricht um 1971 (Schweizer Radio und Fernsehen)


1980-2010
Das digitale Zeitalter setzt ein

Informatikunterricht

Die Informatik-Grundausbildung fand bereits in den 1980er Jahren Eingang in den Unterricht. In den Folgejahren setzten Schülerinnen und Schüler die ersten PCs, später Laptops und Handys zur Recherche ein. Ein Fach Medienpädagogik wurde auch nach der Jahrtausendwende nur in wenigen Kantonen eingeführt.

Schulanlage Friedrichstrasse, Computerzimmer im Erdgeschoss, 1992 (Foto: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich).

Streit um Fremdsprachen

Der heutige Streit um den Fremdsprachenunterricht in der Primarschule begann bereits in den 1970-Jahren mit Projekten zu dessen Vorverlegung in die Primarschule und spitzte sich in den 1990er Jahren mit der Einführung von zwei Fremdsprachen in der Primarschule zu.

Im Vorfeld der Abstimmung vom 23. Oktober 1988 in verschiedenen thurgauischen Tageszeitungen erschienenes Inserat gegen die Vorverlegung des Fremdsprachenunterrichts.


2010-Zukunft Der Pressespiegel: Wissen auf dem Prüfstand?

Das Ende der Schulfächer?

«Finnland schafft die Schulfächer ab». Diese Schlagzeile geisterte 2016 durch den Pressewald. Das finnische Bildungsministerium stellte daraufhin auf einer eigens erstellten Website mit «häufig gestellten Fragen» klar: Die Schulfächer werden nicht abgeschafft. Stattdessen verfolgt Finnland seit 2016 den Ansatz eines sogenannten phänomenbasierten Lernens. Dabei arbeiten Lehrpersonen verschiedener Fächer zusammen, um Inhalte in geblockten Einheiten den Lernenden näherzubringen.

Der Spiegel, 14. November 2016

Wohlbefinden, Resilienz und Glück

An britischen Grundschulen wurde 2019 in einer zweijährigen Testphase der Unterricht in Achtsamkeit (Mindfulness) eingeführt. Bereits seit 1993 ist in Dänemark Empathie ein Pflichtfach. Eine Stunde pro Woche Zeit, um miteinander über Gefühle und Probleme zu sprechen.

New York Times, 04. Februar 2019

Schlüsselkompetenzen im digitalen Zeitalter

Alibaba-Gründer Jack Ma erhielt 2018 mediale Beachtung, als er am World Economic Forum seine Thesen zur Zukunft der Schule aufstellte. Das Bildungssystem vermittle heute primär Wissen. In Zukunft seien aber Soft Skills gefragt, Fähigkeiten also, die Menschen besser können als Maschinen. Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) definiert die sogenannten 4K (Kommunikation, Kollaboration, Kreativität, kritisches Denken) als Schlüsselkompetenzen für die Zukunft. Die Grundüberlegung: Fertigkeiten, die sich automatisieren lassen, werden in Zukunft auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt sein.

Tweet der ARD-Tagesschau, 26. Januar 2018

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2/8 Selektivität des Bildungssystems

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4/8 Vernetzung und Veränderung von Lernräumen