6/8 Medialisierung und Technologisierung

Unterricht mit dem Mac. Zürich um 1990 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich).

Ist der Computer die bessere Lehrperson?

Die Digitalisierung verändert sämtliche Lebensbereiche und hat das Potential, auch die Schule umzugestalten. Das Spektrum reicht von einer punktuellen Anpassung (neue Inhalte und Kompetenzen) bis hin zur Infragestellung der Existenz der Institution Schule, wie wir sie kennen.

Der mediale Wandel stellt die Schulen vor eine doppelte Herausforderung: Sie stehen vor der Frage, inwieweit sie sich digitaler Medien bedienen und deren möglichen Mehrwert nutzen wollen. Die Stichworte sind selbstgesteuertes Lernen und adaptiver Unterricht. Gleichzeitig werden die Schulen auf die Gefahren einer digitalen Welt reagieren und die Lernenden auf diese vorbereiten müssen. Wie soll die Schule sich in dieser Lage verhalten? Vorstellbar sind mehrere Szenarien: von einer umfassenden Integration digitaler Medien und Technologien in den Lernprozess (intelligente Lernsoftware, KI-gestütztes Lernen) über eine eher punktuelle Nutzung bis hin zu Skepsis und Ablehnung.


WAS DIE SCHULE BEWEGT

SCHULREFORMEN DER VERGANGENHEIT UND der ZUKUNFT


1850-1900 Anschauung als Unterrichtsmaxime

Die Welt ins Klassenzimmer holen

Schulischer Unterricht war lange arm an visuellen Eindrücken. Im 19. Jahrhundert setzte sich jedoch das von Pestalozzi und Comenius inspirierte Anschauungsprinzip immer mehr durch. Zuerst im Sprachunterricht, wo der wortbasierte Lernprozess durch Anschauungsbilder gefördert werden sollte. Einen zusätzlichen Aufschwung erlebte die Anschauung durch den Aufstieg des Realien- beziehungsweise Sachunterrichts. Neben illustrierten Lehrbüchern verbreiteten sich in den Schulzimmern nun auch Wandkarten, Atlanten, Schulwandbilder sowie sogenannte «Naturalienkabinette», bestehend etwa aus Gesteinssammlungen und präparierten Tieren.

Modellschulzimmer des Musée pédagogique in Fribourg um 1900 (Bibliothèque cantonale et universitaire de Fribourg, Fonds Leon de Weck – Georges de Gottrau, LWGG0 1180).


1900-1950 Ton und Bild im Unterricht

Faszination Technik

Die Erfindung von Schallplattenspielern, Projektoren und Radios beflügelte schon kurz nach 1900 die Fantasie der Pädagoginnen und Pädagogen. Vor allem der Naturkundliche Unterricht sollte durch den Einsatz bewegter Bilder und authentischer Tonaufnahmen an Qualität gewinnen. Ebenso sollte der Zauber des bewegten Bildes die Begeisterung der Lernenden für den Unterrichtsinhalt verstärken. In der Folge breiteten sich in Europa und Nordamerika vor allem ab den 1920er Jahren Lehrfilmvorführungen in Schulen aus. Wegen der hohen Kosten der Abspielgeräte blieben Filme aber Randphänomene in der Schulbildung.

Die Genossenschaft «Schweizer Schul- und Volkskino» brachte mit Hilfe von Kofferkinoapparaten ab dem Jahr 1921 das bewegte Bild schweizweit in die Schulstuben. Ausschnitt aus der Jubiläumsschrift von 1946.

Telefonunterricht

Die amüsante Idee, zur Einübung des Telefonierens, einen «Telefonunterricht» einzuführen, die man in den 1920er-Jahren erörtert hatte, wurde wieder fallengelassen. Jedoch führte die PTT mit eigens dafür geschultem Personal «Telefoninstruktionen» an den Schulen durch.

Schulische Telefoninstruktion durch Pro Telephon in Luzein (Graubünden) um 1950, fotografiert von Theo Vonow (Museum für Kommunikation; PRO_02938).


1950-1980 Einzug der Massenmedien und futuristische Technikutopien

Technikeuphorie

In den 1960er-Jahren kamen Utopien einer technisierten Schule auf, in der alle Schülerinnen und Schüler mit Computern und Bildtelefonen ausgestattet selbstständig lernen oder mit den Lehrpersonen über grosse Distanzen hinweg  kommunizieren würden. Diese aus der Science-Fiction-Literatur stammenden Technikvisionen setzten sich jedoch gar nicht, oder erst viele Jahrzehnte später als erwartet durch.

Ausschnitt aus dem US-amerikanischen Kurzfilm «1999 A.D.» von 1967.

Das Medium als Pädagoge

Technologien haben immer wieder die Erwartung geweckt, der unzuverlässige Mensch könne dereinst durch Apparate ersetzt werden – so auch im Bereich der Bildung. Bereits in den 1920er-Jahren hatte der US-amerikanische Psychologie-Professor Sidney Pressey (1888-1979) einen «automatisierten Lehrer» entwickelt. Dieser blieb zwar kommerziell erfolglos, doch das Prinzip des «programmierten Lernens» wurde weiter verfolgt. Ende der 1960er-Jahre wurde in der Schweiz der computergestützte Unterricht zur Entlastung der Lehrpersonen und zur Bekämpfung des Lehrermangels propagiert.

Beitrag des Schweizer Fernsehens vom 23. August 1965.

Sidney Presseys Lehrmaschine von 1924.

Schulfernsehen

In der Schweiz wird durch das Schweizer Radio und Fernsehen seit 1964 ein regelmässiges Angebot für Schulen ausgestrahlt. In der Regel diente das Schulfernsehen als Ergänzung zum eigentlichen Unterricht. Mancherorts weckte es jedoch weitreichendere Erwartungen. Auf Amerikanisch Samoa, dessen Bildungssystem im Vergleich zum Mutterland noch wenig gefestigt war, wurde ab 1964 mit dem Schulfernsehen als Ersatz für die Lehrpersonen experimentiert.

Education in Samoa by Television, 1967.


1980-2010 Der Siegeszug des Computers

Vom Nutzen und von den Gefahren des Computers

Mit dem Aufkommen der preiswerten Personal Computer (PC) ab den 1980er Jahren erneuerte sich die Vision eines automatisierten Unterrichts. Es dauerte jedoch wiederum Jahrzehnte, bis zumindest jedes Klassenzimmer mit einem Computer ausgestattet war. Mit der Einführung des Computers im Schulunterricht kam die Sorge auf, dass die Lehrpersonen bald überflüssig werden könnten und der soziale Austausch sowie die Interaktion zwischen Lehrpersonen und Lernenden gestört würde. Bis heute werden Warnungen vor der «Entmenschlichung» des Unterrichts immer wieder laut.

«Computer - nützliches Werkzeug oder bedrohliches Zeug?». Deckblatt der Schweizerischen Lehrerzeitung vom 1. Mai. 1980.


2010 – Zukunft Der Pressespiegel: Digitale Schule?

Chinas digitale Vision

An chinesischen Schulen werden Gesichtserkennungssoftware oder Mikrochips in Sport-Kleidung eingesetzt. Was zunächst der Kontrolle dient, kann allerdings auch für das Lernen genutzt werden. Die chinesische Firma Squirrel-AI zum Beispiel ist überzeugt, dass durch den Einsatz von KI-Lernsystemen Lehrpersonen mittelfristig nur noch eine begleitende Rolle einnehmen werden. Gesichtserkennungssoftware analysiert die Gefühle der Kinder und erkennt, wen bestimmte Aufgaben frustrieren, langweilen oder elektrisieren. Squirrel AI exportiert seine Technologien auch ins Ausland. Bildungsfachleute hierzulande sind allerdings noch eher skeptisch, was den breiten Einsatz künstlicher Intelligenz im Unterricht angeht. Ein grosses Fragezeichen bildet zudem das Thema Datenschutz.

Technology Review, 2. August 2019

Screenshot Webseite Squirrel AI.

Durchzogene Bilanz

Gemäss dem jüngsten «Monitoring der Digitalisierung der Bildung aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler» durch die Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung (SKBF) gehören digitale Geräte nur bei rund 57 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler zum Schulalltag und werden täglich genutzt. 40 Prozent der Befragten geben an, solche Geräte nur einmal pro Woche zu nutzen. Beinahe 20 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler benutzen keine Computer, Smartphones oder Tablets für die Schule.

IT-Markt, 05.07.2021

Quelle: Monitoring der Digitalisierung der Bildung aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler. Herausgegeben durch die Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung (SKBF), 2021.

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5/8 Möglichkeiten der Partizipation und Beteiligung

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7/8 Individualisierung und Personalisierung