8/8 Berufsprofil der Lehrpersonen

Rüschegg, 1942 (Burgerbibliothek Bern N Eugen Thierstein 504/17).

Welche Fähigkeiten brauchen die Lehrkräfte der Zukunft?

Die Digitalisierung eröffnet ein breites Feld an Möglichkeiten für den Unterricht: von der Lerndiagnostik über passgenaue Übungsangebote mit individualisiertem Feedback bis zu adaptiven Lernprogrammen. Lehrkräfte würden so entlastet. Sie könnten zu «Lernumgebungsdesignern» werden und Zeit für die individuelle Lernberatung gewinnen.

Der Beruf der Lehrperson hat sich in den vergangenen 150 Jahren verändert. Die Ausbildung wurde professionalisiert und akademisiert. Aus Generalistinnen und Generalisten wurden zunehmend Spezialistinnen und Spezialisten für einzelne Fächer. Lehrpersonen wurden von Wissensvermittelnden zu Fachleuten für Methodenvielfalt, Classroom-Management und Prävention. Neue Berufsprofile etablierten sich an den Schulen, etwa die für Sozial- und Jugendarbeit, Logopädie oder Heilpädagogik. Der Beruf der Lehrperson wird sich auch in Zukunft weiterentwickeln. Schon heute verstehen sich Lehrpersonen zunehmend als Lernbegleitende – ein Prozess, der sich mit den technischen Möglichkeiten noch verstärken könnte.


Was die Schule bewegt

Schulreformen der Vergangenheit und der Zukunft


1850-1900 Professionalisierung

Lehrerhandwerk

Die Unterrichtstätigkeit wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein auch von ungeschulten Personen oder als Nebenerwerb ausgeübt. Der Unterricht fand meist nur saisonal statt (Wintermonate), und der Lohn der Lehrkräfte wurde durch Naturalleistungen ergänzt. Für das frühe 19. Jahrhundert kann noch kaum von einem Lehrerberuf gesprochen werden, eher von einem Lehrerhandwerk, da eine Ausbildung zur Lehrperson noch weitgehend fehlte.

Karikatur zur Situation in den Schulstuben des 18. und des frühen 19. Jahrhunderts (Johann Nussbiegel, «Antikes Schulwesen», 1825; Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum).

Seminare

Die Ursprünge der Ausbildungen zu Primar- und Sekundarlehrpersonen liegen in der Schweiz in der Zeit der liberalen Aufbruchsstimmung zwischen 1830 und 1840. 1832 wurde das erste staatliche Lehrerseminar in Küsnacht (ZH) gegründet, 1833 folgten das deutsche Lehrerseminar in Bern sowie die Lehrerseminare in Kreuzlingen und Lausanne. Ein universitäres Ausbildungsmodell für die Primarlehrpersonen-Bildung konnte sich nur in Genf durchsetzen. Um 1900 war die Schweiz flächendeckend mit Ausbildungsstätten versorgt.

Lithografie Seminar Hofwil in Münchenbuchsee, 19. Jahrhundert (Burgerbibliothek Bern; Gr.B.150; Gr.B.372; Gr.B.683).


1900-1950 Statusgewinn

Der Lehrerberuf

Mit der Professionalisierung der Ausbildung gewann der Berufsstand der Lehrkräfte an Reputation. Auch der Wechsel zum frontalen Unterricht trug dazu bei. Lehrpersonen mussten nun eine «ganze Klasse führen» und nicht mehr lediglich einzelne Kinder (nacheinander) unterrichten. Sie waren verantwortlich für ein gleichmässiges Fortschreiten im Stoff und für die Unterrichtsdisziplin. Auch wirtschaftlich verbesserte sich ihre Situation. Die Kantone schrieben den Gemeinden Minimallöhne vor und gewährten Staatsbeiträge an die Löhnen. Die Besoldungserhöhungen im frühen 20. Jahrhundert ermöglichten schliesslich den Aufstieg in den Mittelstand.

Lehrer vor dem Eingang der Primarschule Wabern, ca. 1913 (Staatsarchiv Bern; N Laedrach 83.14)

Lehrerinnen

Bereits während des 19. Jahrhunderts stieg die Anzahl der Frauen unter den Lehrpersonen stetig an. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts unterrichteten Frauen vor allem in Unterstufenklassen, während sich der Frauenanteil mit steigendem Alter der Kinder verringerte. Jungen Frauen bot der Beruf als Lehrerin schon immer die Chance, ökonomisch unabhängig zu werden, obwohl den Lehrerinnen nach einer allfälligen Heirat bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nahegelegt wurde, ihren Beruf aufzugeben. In einigen Kantonen waren «Lehrerinnenzölibate» (Heirats-Verbote für Lehrerinnen) bis in die 1960er-Jahre in Kraft.

Schülerinnen mit Lehrerin, Weissenheim Bern, ca. 1930-1942 (Staatsarchiv Bern; BB 13.1.765).


1950-1990 Lehrpersonen als Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker

Fachpersonen für das Arrangement von Lehr- und Lernprozessen

Die Bildungsexpansionsphase ab den 1960er-Jahren führte zu Neuerungen im Berufsverständnis der Lehrpersonen. Ein Kernelement war die Etablierung der Fachdidaktik als eigenständiges Lehrfach, was die Beschäftigung mit den zu unterrichtenden Lehrinhalten zum ersten Mal ins Zentrum rückte. Insgesamt wuchs der Auftrag der Lehrpersonen bis zur Wende zum 21. Jahrhundert auf ein immer breiteres Aufgabenspektrum an: unterrichten und planen, beurteilen, bewerten, beraten, Kollegiums- und Elternarbeit, eigene Fortbildung und Engagement für die Schulentwicklung.

Steigende Ansprüche an die Praxis der Lehrpersonen. «Beurteilen. Lehrer auf dem Prüfstand». Titelbild der Schweizer Lehrerzeitung vom 26. Januar 1989.


1990-2010 Akademisierung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung

Pädagogische Hochschulen

Ende der 1980er Jahre zeichnete sich die Tendenz ab, die Primarlehrerausbildung auf die Tertiärstufe zu verlegen. Im Kanton Zürich erfolgte die Umgestaltung der Seminare in sogenannte Lehramtsschulen. Um die Jahrhundertwende entstanden im Zuge der Reform der höheren Bildung die ersten pädagogischen Hochschulen. Dabei wurde ein Teil der ehemaligen Lehrerseminaren zu Gymnasien.

Pädagogische Hochschule Luzern

Schulsozialarbeit

In den Kantonen Genf und Waadt war die Schulsozialarbeit bereits in den 1960er- beziehungsweise 1980er-Jahren eingeführt worden. In der Deutschschweiz begann ihr Wirken mit zwei Projekten an der Berufsschule Wattwil (1987) und an der Primarschule Böswisli in Bülach (1988). Schon zuvor existierten sozialpädagogische oder sozialarbeiterische Beratungsstellen und schulergänzende Betreuungsangebote, allerdings waren sie nie direkt in die Schulen integriert worden.

Raum für die Schulsozialarbeit, Schulanlage Käferholz in Zürich, 2018 (Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich).


2010 – Zukunft Der Pressespiegel: Lerhpersonen als Lerncoaches?

Neue Rolle für Lehrpersonen

In der neueren Literatur zur Schulentwicklung und Didaktik werden Lehrpersonen oft als «Coach» bezeichnet. Dem zu Grunde liegt die Annahme, dass durch digitales Lernen der Klassenunterricht weitgehend aufgehoben wird und Lernen unabhängig vom Lernort Schule erfolgt. Lehrpersonen werden dann zu Begleiterinnen und Begleitern individueller Lernprozesse. Wie weit sich ein solches Rollenverständnis an den Schulen durchsetzen wird, ist ungewiss. Noch gilt, dass Lehrpläne die Lernziele und -inhalte bestimmen und auch die Lernzeiten sowie der Ort des Lernens vorgeben sind.

Die Zeit, 28. Januar 2016

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7/8 Individualisierung und Personalisierung